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meine Bilder und Kurzgeschichten



Das Kunstwerk ist eine imaginäre Insel, die rings von Wirklichkeit umbrandet ist.   

José Ortega Y Gasset


Acryl auf Leinwand oder Karton


Nicht die Abbildung der Wirklichkeit ist das Ziel der Kunst, sondern die Erschaffung einer eigenen Welt.

Fernando Botero


Aquarell und Mischtechnik




Bilder der jungen Künstlerin Feli



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Nachdem ich früher eine naturgetreue Wiedergabe versuchte, strebe ich heute nach einer fantasievoll veränderten Darstellung. Ich will etwas Neues erschaffen: eine irreale und geheimnisvolle Wirklichkeit. Mein Motto: "Farben, Formen, Fantasie"

 

Neben dem Malen habe ich das Hobby, Kurzgeschichten und philosophische Abhandlungen zu schreiben.

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zwei Kurzgeschichten


                          Der Besuch des Enkels


 

Nach dem Mittagessen ruht sich Elvira auf der Couch im Wohnzimmer aus. Die alte Dame legt Wert auf einen geregelten Tagesablauf. Dazu gehört ein kurzes Schläfchen am frühen Nachmittag.

Kurz nachdem sich Elvira hingelegt und die Augen geschlossen hat, meldet sich das Telefon. Mühsam steht sie auf und nimmt das Gespräch an.

Eine Männerstimme sagt betont freundlich: „Hallo Oma, guten Tag. Wie geht es dir?“

Elvira glaubt, nicht richtig gehört zu haben. „Hallo – wer sind Sie?“

„Ich bin´s, dein Enkel“, sagt der Mann. „Wir haben uns leider lange nicht gesehen. Ich möchte dich heute gerne besuchen, ich bin ganz in der Nähe.“

 Elvira stutzt. Die Stimme sei ihr unbekannt, denkt sie. Vielleicht habe sie sich verhört.

Sie fragt noch mal: „Wer ist dort bitte?“

 „Hallo Oma, ich bin dein Enkel“, antwortet der Mann freundlich. „Wenn du mich nicht sofort erkannt hast, dann liegt das daran, dass mein Handy gerade eine schlechte Verbindung hat. Ich möchte dich gerne besuchen, ich bin in der Nähe.“

Nach einer kurzen Pause fährt er fort: „Oma, ich brauche deine Hilfe. Es ist ganz wichtig, ich habe nämlich ein Problem.“

Elvira antwortet nicht, sie überlegt.

Es klingt aufdringlich, als sich der Mann erneut meldet: „Hallo Oma, lass mich bitte nicht so lange warten. Oma, ich habe ein großes Problem, ich brauche dringend deine Hilfe.“

 Elvira ist unschlüssig. Sie antwortet nicht.

 „Hallo Oma, hallo Oma“, tönt es aus dem Telefon. „Hier ist dein Enkel! Hörst du mich? Hier ist dein Enkel! Melde dich!“ Die Worte wirken fast wie ein Befehl.

Nach einer kurzen Pause antwortet Elvira bedächtig: „Aha, dann bist du der Jens aus Frankfurt.“

 „Ja genau, Oma, ich bin der Jens aus Frankfurt.“ Der Mann spricht jetzt betont freundlich. „Ich bin so froh, dass du dich an mich erinnerst. Ich bin dein Jens.“

 „Wie schön, ja, der gute liebe Jens“, antwortet Elvira, „ich erinnere mich an dich, ja, und jetzt erkenne ich dich an deiner Stimme.“ Elvira lacht. „Ja, der gute liebe Jens! Du bist ein guter Junge.“

„Oma, du musst mir helfen“, sagt der Mann in eindringlichem Ton. „Ich habe heute mit meinem Auto etwas Pech. Es fährt nicht mehr, es steht hier am Straßenrand. Jetzt bin ich in einer schwierigen Lage. Ich brauche dringend Geld für die Reparatur. Ohne Auto kann ich nicht weiterfahren. Ich bin wirklich in einer echten Notsituation. Es geht mir schlecht. Oma, hilf mir bitte! Ich möchte jetzt zu dir kommen.“

„Ich bitte dich um ein bisschen Geduld“, antwortet Elvira ruhig. „Ich muss mich umziehen, und ich gehe noch auf die Toilette. Und ich will mich noch ein bisschen schminken – eigens für dich, mein lieber Jens. Schließlich sollst du einen guten Eindruck von mir haben.“

„Oma, du musst dich nicht schminken“, antwortet der Mann fast höflich, „du gefällst mir so, wie du bist.“

 „Jens, du weißt doch, dass bei alten Leuten alles etwas länger dauert.“ Elvira lacht. „In dreißig bis vierzig Minuten kannst du zu mir kommen. Ich will dir helfen. Das tue ich gerne, du bist doch der liebe Jens.“ Und sie fügt hinzu: „Ich nehme an, dass du weißt, wo ich wohne?“

 „Ja, ich weiß das“, lautet die Antwort kurz. „Oma, ich freue mich auf unser Wiedersehen – in dreißig Minuten bin ich bei dir. Bis gleich, tschüss!“

„Ich freue mich auch. Bis gleich, Jens“, sagt Elvira.

 

Nach zwanzig Minuten klingelt es an der Haustür. Elvira öffnet. Vor ihr steht ein junger Mann, er ist ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt.

Die alte Dame begrüßt ihn sichtlich erfreut: „Guten Tag Jens, ich bin so froh, dass du gekommen bist. Wie schön! Wir haben uns so lange nicht gesehen. Das ist ja wirklich eine Überraschung! Tritt ein, mein lieber Jens. Ich muss mich entschuldigen, dass ich dich am Telefon nicht sofort erkannt habe.“

„Guten Tag Oma, ich freue mich auch, dich zu sehen.“ Der Mann lächelt gekünstelt. Er deutet eine Umarmung an und kommt dann direkt zur Sache. „Oma, ich habe dir schon gesagt, dass ich eine Panne mit meinem Auto habe, und jetzt muss das Auto schnellstens repariert werden. Ich muss aus beruflichen Gründen einen sehr wichtigen Termin wahrnehmen – aber ohne Auto geht das nicht. Ich bin wirklich in einer Notlage. Kannst du mir bitte Geld für die Reparatur leihen?“

„Aber natürlich tue ich das, mein lieber Jens“, sagt Elvira. „Ich tue das sehr gerne für dich.“ Sie lächelt liebevoll.

 Der Mann macht Druck. „Oma, ich möchte nicht unhöflich sein, aber gib mir das Geld bitte sofort. Ich muss nämlich den Wagen gleich in die Werkstatt bringen. Ich habe dort ausnahmsweise noch einen Termin für heute Nachmittag bekommen. Die warten ungeduldig auf mich. Ich habe Glück, dass die den Wagen noch heute reparieren können. Das ist sehr wichtig für mich.“

Und er fügt mit ernster Miene hinzu: „Oma, eile dich bitte, es ist dringend. Entschuldige bitte, dass ich so ungeduldig bin. Glaube mir, ich werde dir alles zurückzahlen.“

 „Jens, du kannst das Geld sofort haben – schließlich bin ich deine Oma.“ Elvira lächelt freundlich. „Nur ein bisschen Geduld, Jens. Ich habe nämlich einen Trick, damit Einbrecher mein Geld nicht finden können: In verschiedenen Schubladen und unter allen möglichen Gegenständen und in den vielen Büchern, die im Schrank stehen, und zwischen der Wäsche im Kleiderschrank und sogar unter den Teppichen und so weiter – überall habe ich einen Geldschein oder ein paar Scheine versteckt. Ein Einbrecher würde an diesen Stellen nicht suchen, er würde gar kein Geld finden.“

 Elvira weist mit den Händen auf die umstehenden Möbel. Sie lächelt verschmitzt. „Ist das nicht eine ganz clevere Idee von mir?“

Der Mann blickt erstaunt und wird ärgerlich. „Oma, du hast gesagt, dass du mir ganz bestimmt helfen wirst. Hol bitte das Geld, ich habe wirklich keine Zeit zu verlieren. Die Werkstatt wartet ungeduldig.“

„Jens, du musst dich nicht aufregen“, sagt Elvira ruhig. „Ich verstehe, dass du in Eile bist. Deshalb musst du dir das Geld selbst holen, bei mir würde das doch zu lange dauern. Bei alten Leuten geht alles ein bisschen langsamer, das weißt du doch. Vor allem das Bücken fällt mir sehr schwer.“

„Und wo soll ich anfangen zu suchen?“ fragt der Mann unwirsch.

„Jens, geh ins Schlafzimmer und sieh mal in den Wäscheschrank. Schau mal zwischen die Handtücher und zwischen die Bettwäsche. Der Wäscheschrank ist groß, dort findest du bestimmt ein paar Scheine. Danach suchst du in den Schubladen im Wohnzimmer.“ Die alte Dame wirkt ruhig und freundlich. „Und sieh auch mal unter den Teppich. Je mehr du suchst, umso mehr Scheine wirst du finden.“

Der Mann blickt ungläubig und ärgerlich. Er schüttelt den Kopf. „So was Verrücktes habe ich noch nicht erlebt“, entfährt es ihm ungewollt.

Elvira bleibt freundlich und gelassen. „Glaubst du mir nicht, Jens? Hab ein bisschen Geduld. Geh bitte an den Wäscheschrank und guck mal ins unterste Fach, auf der linken Seite, zwischen den Bettbezügen. Ich sage dir nochmal: Je mehr du suchst, umso mehr findest du. Du kannst alles, was du findest, mitnehmen. Ist das nicht ein prima Angebot?“

 Die ruhige Art der alten Dame wirkt überzeugend. Der junge Mann macht sich tatsächlich an die Arbeit. Im Wäscheschrank wird er zuerst fündig, allerdings sind es nur zwanzig Euro. Er wühlt weiter in der Wäsche, schließlich findet er noch einen Zwanziger.

Mehr scheint im Wäscheschrank nicht versteckt zu sein. Deshalb sucht der junge Mann im Wohnzimmerschrank weiter. Nach einer Weile findet er dort ebenfalls einen Zwanziger.

Nach einer Weile wird der Mann ärgerlich. „Wo soll ich denn noch suchen?“ fragt er ungeduldig. „Oma, du musst doch wissen, wo du das Geld versteckt hast!“

 „Tut mir leid, genau weiß ich das nicht mehr. Mein Gedächtnis lässt mich manchmal im Stich“, sagt Elvira. „Aber ich weiß ganz sicher, dass ich viele Fünfziger-Scheine versteckt habe, wirklich eine große Summe.“ Sie lächelt sanft.

Der Mann sieht sich unschlüssig um. „Das gibt´s doch nicht, so was Verrücktes“, zischt er.

 „Verlier nicht gleich die Nerven, mein lieber Jens, such bitte weiter“, ermuntert ihn Elvira, „verlier nicht die Geduld. Sieh genau in die vielen Bücher. Lass dir Zeit beim Suchen, dann findest du viel.“

Elvira lächelt. „Ich will dir doch helfen, lieber Jens, das weißt du. Ich bin schließlich deine Oma.“

Wie besessen durchsucht der Mann die Wohnung – ab und zu flucht er leise: „So was Idiotisches ist mir noch nicht begegnet!“

 Hier und da findet er einen Zehn- oder Zwanzig-Euro-Schein. Die Scheine steckt er hastig in seine Hosentasche.

Am Anfang der Suchaktion hat der Mann einen hektischen Eindruck gemacht, aber je mehr Scheine er findet, desto ruhiger wird er. Je gründlicher er suche, desto mehr Scheine würden ihm gehören, denkt er. Für ihn gilt jetzt das Sprichwort: Zeit ist Geld! Ganz wörtlich!

Plötzlich klingelt es an der Haustür. Elvira erklärt: „Ah, das ist der Nachbar, Herr Blinski. Der bringt mir am Nachmittag immer seine Zeitung. Ich hoffe, dass es seiner Frau jetzt besser geht, die ist seit einer Woche krank. Er kommt nicht in die Wohnung, du kannst also ruhig weitersuchen.“

Und sie fügt hinzu: „Mein guter Jens, sei geduldig, guck mal im Wohnzimmer unter den Teppich, dort liegen ganz bestimmt ein paar Fünfzig-Euro-Scheine. Daran erinnere ich mich. Ich kann sie schlecht holen, du weißt ja, dass ich mich nicht gut bücken kann.“

Unter dem Teppich suchen? Der Mann runzelt misstrauisch die Stirn. Doch schließlich gibt er sich einen Ruck. „Ein paar Fünfziger, das wäre nicht schlecht“, denkt er.

Es klingelt ein zweites Mal. „Jetzt muss ich aber schnell zur Tür“, sagt Elvira, „der Herr Blinski wird schon ungeduldig. Such bitte ruhig weiter, Jens! Herr Blinski kommt nicht rein.“

 Sie schließt hinter sich die Wohnzimmertür, eilt durch die Diele zur Haustür und öffnet.

„Guten Tag Herr Blinski“, ruft Elvira laut. „Haben sie die Zeitung schon ganz gelesen? Ja, sie sind ein echter Schnellleser. Vielen Dank! Wie geht es denn ihrer Frau? Geht es ihr gesundheitlich besser?“

An der Tür stehen zwei Polizisten. Elvira flüstert: „Hallo! Ich habe sie sofort angerufen. Gut, dass sie schnell gekommen sind. Der Mann im Wohnzimmer ist nicht mein Enkel. Ich kenne diesen Mann nicht. Bevor er kam, habe ich mich geeilt und überall in der Wohnung Geldscheine versteckt, um ihn aufzuhalten. Er sucht die ganze Wohnung ab.“

„Das war wirklich sehr clever von ihnen“, lobt einer der Polizisten mit leiser Stimme. „Diese Gauner wollen alte Leute überrumpeln und dann schnell abhauen, bevor die den Betrug bemerken.“

 Elvira schüttelt den Kopf und flüstert: „Nicht mit mir.“

Sie winkt die Polizisten ins Haus. „Kommen sie schnell rein. Gerade liegt der Mann im Wohnzimmer auf dem Boden und sucht unter dem Teppich nach Geld!“


Hans Reiter



                             Anja

 

 

Wie wunderbar – heute schenkt mir das Leben wieder einen herrlichen Sommertag. Über mir spannt sich der blaue Himmel, ein paar verspielte Wölkchen ziehen vorüber, im Garten wachsen kleine Stauden mit roten und weißen Blüten, die Birken wiegen sich sanft im Wind, und ein warmer Lufthauch streicht mir angenehm über das Gesicht.

 Diese Eindrücke bedeuten mir viel, ich weiß sie zu schätzen.

Entspannt lehne ich mich zurück. Ich schließe die Augen und genieße es, im Garten in der Sonne zu ruhen. Alles Bedrückende fällt von mir ab.

 Dieser wunderbare Tag beflügelt meine Gedanken. Er lädt mich ein, etwas Schönes zu erleben.

Sei nicht so faul und raff dich auf, sage ich mir. Nutze deine Zeit! Die Welt hält so viel für dich bereit, du musst nur zugreifen, mach dich endlich auf den Weg!

Mit einem Mal ist die träge Ruhe verflogen. Mir kommen tausend schöne Ideen.

 Die Voraussetzungen für meinen Tatendrang sind außerordentlich gut: Ich habe ein dickes Bankkonto und fahre einen tollen Sportwagen, der alle Augen auf sich zieht – auch diejenigen der Weiblichkeit. Das gefällt mir. Ich bin Mitte dreißig, also in den besten Jahren. Ich bin Single, habe einen sportlich trainierten Körper, sehe gut aus und kann geistreich und charmant sein.

Ist es da verwunderlich, dass die meisten Frauen auf mich fliegen? Warum sollte ich mich dagegen wehren? Man lebt schließlich nur einmal.

Ich bin nicht gezwungen, regelmäßig und viel zu arbeiten, denn ich kann locker von den Erträgen aus meinem Kapitalbesitz existieren. Diesen Zustand empfinde ich als sehr angenehm. Es ist nun mal ein ausgesprochener Glücksfall, wenn man als der Sohn einer recht wohlhabenden Familie geboren wurde.

Es geht mir bestens, die Welt steht mir weit offen. Schöne Frauen, viel Geld und viel Freizeit – was will ich mehr? Das Leben meint es wirklich gut mit mir, ich kann es in vollen Zügen genießen.

»Geld macht nicht glücklich.« Diesen platten Spruch kennt jedes Kind. Leute, die kein Geld haben, zitieren ihn immer wieder; sie wollen sich mit diesem Spruch trösten. Über so viel Dummheit und so viel Neid kann ich nur herzhaft lachen. Obwohl – ein kleines bisschen Wahrheit ist an diesem Spruch doch dran, das gebe ich zu – aber nur ein kleines bisschen.

 Mit der holden Weiblichkeit habe ich keine Probleme – genauer gesagt: fast keine. Ein Außenstehender denkt, mein Leben sei einfach und unproblematisch – aber das ist leider nicht die ganze Wahrheit. Wenn man nämlich – so wie ich – viele nette Frauen kennt, dann ist es zwangsläufig sehr schwer, sich an eine fest zu binden. Ich kann mich bei diesem Überangebot einfach nicht entscheiden, und das ist auf Dauer kein angenehmer Zustand.

Mit meinem Freund Axel kann ich offen über alles sprechen. Er sagt oft zu mir: »Hans, eines Tages kommt die Richtige, das merkst du dann sofort, und dann wird dir die Entscheidung leicht fallen.«

Vielleicht hat er Recht.

Vor ungefähr drei Wochen habe ich Anja kennengelernt, eine Lehrerin, 30 Jahre jung. Sie ist eine sehr nette und gebildete junge Frau. Mir gefällt ihre lockere und unkomplizierte Art. Sie lacht viel, und sie ist immer gut gelaunt. Ihre Fröhlichkeit und ihre gute Laune wirken auf mich ansteckend. In ihrer Gegenwart scheint immer die Sonne.

 Ich finde Anja wirklich sehr sympathisch, und ich glaube, aus dieser Bekanntschaft könnte bald viel mehr werden.

Axel weiß noch nichts von Anja. Wahrscheinlich würde er augenzwinkernd sagen: »Hans, die Anja ist genau die Richtige!«

 Warum hänge ich hier im Garten faul rum? Warum bin ich nicht mit Anja zusammen? Wie schön wäre es, wenn ich mich heute mit ihr träfe. Ich muss nicht lange überlegen, ich werde sie sogleich per Handy anrufen.

 Anja ist begeistert, als sie meine Stimme hört. Heute Nachmittag hat sie Zeit – wunderbar! Wir werden uns in 20 Minuten in der Stadt treffen.

Ich freue mich. Heute ist ein echter Glückstag.

 Mein Auto bringt mich rasch in die City. Zehn Minuten später warte ich an der verabredeten Stelle.

Als ich Anja wiedersehe, pocht mein Herz heftig. Ich bin ein bisschen aufgeregt. Ob es ihr ebenso ergeht?

Anja lächelt mich freundlich an und sagt mit ihrer einschmeichelnden Stimme: »Hallo Hans, über deinen Anruf habe ich mich wirklich sehr gefreut. Nett, dass du an mich gedacht hast. Das war eine prima Idee von dir. Wie schön, dass wir uns wiedersehen.«

»Hallo Anja, ich freue mich auch sehr über das Wiedersehen. Wir sollten den Nachmittag voll genießen«, antworte ich. Und mit einem Lächeln füge ich hinzu: »Du siehst wieder bezaubernd aus, wie ein schöner Sommertraum, ich bin entzückt.«

 Anja strahlt mich an: »Du bist so ein Schmeichler!«

 Ihre schulterlangen blonden Haare flattern im warmen Wind. Die bronzefarbene Haut, die schlanke Figur, die enge Jeans, die luftige Bluse – Anja ist wirklich eine sehr nette Erscheinung, so blumig und so aufregend wie dieser Sommertag. Ich glaube, ich könnte mich in sie verlieben – ja, ich fühle deutlich, dass ich mich längst in sie verliebt habe.

 Wir schlendern ziellos durch die Stadt, und wir finden vieles, an dem wir sonst achtlos vorbeigehen würden, auf einmal interessant und erwähnenswert. Im Garten eines gemütlichen Eiscafés nehmen wir Platz. Im Schatten einer hohen Platane genießen wir unsere Eisbecher, und dabei plaudern wir über tausend Dinge.

Ja, ich empfinde sehr viel für diese nette junge Frau, und ich glaube, dass auch sie sich zu mir sehr hingezogen fühlt. Heute ist ein besonderer Tag, das fühle ich, heute beginnt ein neues Leben für uns.

 Ich muss zugeben, dass in dem von mir so verachteten Spruch »Geld macht nicht glücklich.« doch eine Portion Wahrheit steckt. Geld ist wirklich nicht alles, es gibt etwas viel Wertvolleres und etwas viel Schöneres, das dem Menschen Glück und Zufriedenheit schenkt und dem Leben einen Sinn verleiht.

Ich merke es deutlich, ja, heute schenkt mir das Leben ein großes Glück – mein Bankkonto könnte so viel Glücksgefühl niemals erzeugen. Liebe kann man nicht kaufen.

Nach dem Eiscafé spazieren wir durch den Park. Wir sind uns ganz nahe, ein Hauch von Seligkeit umgibt uns. Als uns eine Kirschlorbeerhecke vor neugierigen Blicken schützt, nehme ich Anja zum ersten Mal in die Arme. Wir schauen uns tief in die Augen, wir verstehen uns ohne ein Wort zu sagen. Etwas zaghaft küsse ich sie auf ihre rosaroten Wangen. Sie schaut mich liebevoll an und lächelt, und sie drückt mir einen zarten Kuss auf die Wange. Diesen Augenblick werde ich nie vergessen!

Ich fühle, dass das Schicksal einen geheimen Plan hat: Es will uns beschenken, überreich beschenken. Hallo, greift zu, ruft es, die Zukunft hält ein wunderschönes Glück für euch bereit. 

Als wir Händchen haltend vom Park zurück in Richtung Stadt schlendern, fragt mich Anja: »Was sollen wir jetzt machen? Hast du vielleicht noch Zeit?«

»Ja klar habe ich Zeit, für dich immer, Anja«, antworte ich, »was würdest du denn vorschlagen?«

Anja schaut mir drei Sekunden ruhig in die Augen und meint dann: »Hans, du hast mir so viel von deinen selbst gemalten Bildern erzählt, die würde ich gerne mal sehen. Ich bin ja so neugierig. Lass uns zu dir fahren.«

Ich bin ein bisschen überrascht – angenehm überrascht.

»Ja, Anja, das ist eine gute Idee«, antworte ich, »ja, fahren wir zu mir. Aber meine Bilder sind nichts Weltbewegendes. Ich weiß nicht, ob sie dir gefallen werden. Ich bin doch nur ein Hobbymaler. Hoffentlich bist du nicht enttäuscht und gelangweilt von den Bildern.«

Anja legt ihre Arme um meinen Hals und meint lächelnd: »Gemälde sind immer interessant, deine interessieren mich ganz besonders. Oh, wir werden ganz bestimmt keine Langeweile bekommen, glaub´ mir Hans.«

Ich blicke in ihre schönen Augen und sage: »Das denke ich auch. Ganz bestimmt nicht, uns wird was Schönes einfallen.«

Anja küsst mich auf den Hals. »Ja, ganz viel Schönes fällt uns ein, du wirst staunen«, haucht sie.

 Nach wenigen Minuten stehen wir im Parkhaus vor meinem Auto. Ob sie von dem tollen Schlitten beeindruckt ist?

Anja meint scherzend: »Wirklich, ein schönes Auto – hoffentlich ist der Fahrer genau so super wie sein Auto.«

»Das ist er – wart´ es ab, lass dich überraschen«, antworte ich. »Ein super Auto, ein super Fahrer und eine wunderschöne Frau – kann das Leben noch mehr bieten?«

 »Ja, kann es – und deshalb geben wir heute richtig Gas«, meint Anja mit gespielt ernster Miene.

 Wir steigen lachend ins Auto. Noch nie habe ich mich so froh und so glücklich gefühlt.

Die Fahrt durch die Stadtmitte ist eine nervige Angelegenheit und kostet wertvolle Zeit. Am Stadtrand geht es dann schneller voran. Es sind nur noch ein paar Kilometer bis zu meinem Haus.

»In drei Minuten sind wir am Ziel«, verkünde ich fröhlich.

»Und bald kann ich deine Bilder bestaunen«, lacht Anja. »Oh, ich bin mit einem Künstler zusammen – wie aufregend das ist!«

»Und ich bin mit einer aufregend schönen Frau zusammen!« Meine Gedanken fliegen wild durcheinander.

»Ach Hans, was du wieder sagst – du bist ja so ein Charmeur!« Anja strahlt mich an.

Wir biegen in eine ruhige Seitenstraße ein. Links und rechts stehen luxuriöse Ein- und Zweifamilienhäuser mit gepflegten Vorgärten. Einige Häuser sind kleine Villen. Hier sind wir in einer gehobenen Wohngegend – das sieht man sofort.

»Waoh – richtig vornehm ist es hier«, staunt Anja und lacht. »Das vornehme Künstlerviertel der Stadt!«

»Da vorne das weiße Haus auf der rechten Seite, mit dem naturbelassenen Vorgarten, das ist meins.« sage ich. »Gleich sind wir da.«

 Anja legt ihren linken Arm auf meine Schulter und stöhnt: »Gleich bin ich bei meinem Künstler. Ich bin ja so gespannt.«

 »Du wirst staunen«, antworte ich. Wir müssen lachen.

Es sind nur noch 50 Meter bis zu meinem Haus – doch plötzlich wird die Fahrt holprig, der Wagen gerät ins Schwanken.

»Gibt es hier Schlaglöcher, oder ist ein Reifen platt?« rufe ich aufgeregt.

»Keine Sorge, das wäre nicht weiter tragisch«, sage ich zu Anja, »die letzten Meter könnten wir zu Fuß gehen.«

Plötzlich scheint mir die Sonne direkt ins Gesicht, sie blendet mich. Ich kann die Straße nicht mehr sehen, alles verschwimmt, auf einmal ist es ganz hell um mich herum. Was ist los?

 Wo ist Anja? Ich kann sie nicht mehr sehen. Mit dem rechten Arm will ich nach ihr greifen – doch ich greife ins Leere, sie ist verschwunden. Wo ist sie? Um Himmels willen – was ist passiert? Verzweifelt schreie ich: »Anja, wo bist du, Anja, Anja!«

Anja antwortet nicht, sie ist verschwunden.

Ich werde leicht durchgeschüttelt. Was geschieht mit mir? Ich habe schreckliche Angst. Was zum Teufel ist los?

Auf einmal sagt eine Frauenstimme laut: »Hallo Herr Reiter, hören sie mich? Sie sind im Garten im Rollstuhl eingeschlafen. In der Sonne war es so schön warm. Jetzt fahr´ ich sie in den Aufenthaltsraum, gleich gibt´s das Abendessen.«

Durch die halb geöffneten Augen blendet mich das Licht der tiefstehenden Sonne. Ich bin verwirrt, meine Gedanken schießen durcheinander, ich bin noch nicht ganz wach.

Es ist, als ob ein Felsbrocken auf mich gestürzt wäre und mich zermalmen würde. Vor ein paar Augenblicken war die Welt noch so wunderschön, so schön, wie sie schöner nicht sein kann, und jetzt – jetzt ist mit einem Schlag alles aus und vorbei.

 Im Aufenthaltsraum stehen viele Tische. Auf ihnen befinden sich Wasserflaschen, Schnabeltassen, Plastikbecher und Vasen mit bunten Blumensträußen. Ich sehe alte Frauen und alte Männer. Die Frauen sind in der Überzahl.

 Die alten Leute sitzen still an den Tischen, einige im Rollstuhl, andere mühen sich noch mit dem Rollator ab. Gleichgültig und leer blicken die Alten vor sich hin, sie reden kein Wort, sie sind teilnahmslos, sie zeigen fast keine Regung. Sie nehmen ihre Umgebung nicht voll wahr, und die Zeit scheint für sie keine Bedeutung zu haben. Die Alten wirken apathisch, und doch sieht es so aus, als ob sie auf etwas warten – ich weiß nicht, worauf sie warten.

 Diese Menschen sind Gestalten aus einer anderen Welt – so kommen sie mir vor.

 Ich blicke mich kurz um, doch niemand spricht mich an, niemand nimmt Notiz von mir. Und ich spreche auch niemanden an. Alles wirkt trostlos. Mein Dasein ist ohne Bedeutung und ohne Sinn.

Mein Gott – wo bin ich hier? Wie bin ich hierher gekommen? Wer hat mich in dieses Haus gebracht? Ich weiß es nicht.

Wieder höre ich diese laute Frauenstimme: »Schlafen ist gesund, Herr Reiter, aber wenn sie am Nachmittag zu viel schlafen, dann können sie während der Nacht nicht mehr schlafen, und dann sind sie nachts so unruhig, das ist nicht gut.«

 Ich starre vor mich hin und antworte nicht. Ich habe keine Lust zu antworten. Diese Schwester hat mir mein wunderschönes Date mit Anja verdorben. Im letzten Augenblick hat die Schwester alles kaputtgemacht. Darüber bin ich sehr traurig und sehr verärgert. Ich erkläre es ihr nicht, sie würde es doch nicht begreifen. Nein, ich möchte gar nichts sagen, ich will nur meine Ruhe haben.

Ich sitze still im Rollstuhl am Tisch. Ich starre die Wasserflasche an, die vor mir steht, und warte geduldig. Was wird wohl jetzt passieren, frage ich mich. Warum sitze ich am Tisch? Warum sind die alten Leute hier? Ich habe keine Ahnung. Ich warte und warte. Worauf warte ich eigentlich? Ich weiß es nicht.

 Die Schwester läuft hin und her. Warum macht sie das? Sie holt einen Teller und ein Tuch. Dann lächelt sie und sagt zu mir: »So, jetzt binden wir das Lätzchen um, und gleich gibt´s leckeren Grießbrei.«

Nein, nicht das schon wieder! Die Schwester geht mir mit ihrem blöden Lätzchen und mit ihrem klebrigen Brei so was auf die Nerven! Soll sie ihn doch selbst essen!

 Ich bin immer noch sehr ärgerlich auf die Schwester, weil sie mir heute schon wieder mein Date mit Anja kaputtgemacht hat – zum xten Male. Immer an derselben Stelle, immer ausgerechnet bevor es am schönsten wird mit Anja, weckt sie mich auf! Das macht die Schwester an jedem Nachmittag so. Ich weiß genau, dass sie das absichtlich macht, weil sie mir nichts Schönes gönnt – ich kann sie nicht leiden.

 Das Einzige, was mir diese Schwester gönnt, ist Grießbrei. Den schiebt sie mir mit Wonne löffelweise hinein – und den für mich bestimmten Braten isst sie selbst, das weiß ich ganz genau. Und den für mich bestimmten Wein trinkt sie auch selbst – und mir stellt sie eine Schnabeltasse mit Tee hin. Sie klaut mir jeden Tag das gute leckere Essen und den guten Wein – diese Schwester ist unmöglich!

Und sie weckt mich an jedem Nachmittag auf – immer kurz bevor das Date mit Anja am schönsten wird! Das macht sie mit voller Absicht so. Ich kann ihr das nicht verzeihen.

Irgendwie muss ich diese Schwester austricksen. Ich weiß auch schon, wie ich das mache: Wenn ich mich morgen Nachmittag wieder mit Anja treffe, dann müssen wir die Zeit sinnvoller nutzen. Wir lassen dann den Spaziergang im Park und das Eiscafé ausfallen und fahren sofort zu mir nach Hause. Anja wird bestimmt einverstanden sein – schließlich kennen wir uns schon recht lange.

 Während mir die Schwester den Grießbrei reinschiebt, kommt mir noch ein guter Gedanke: Morgen Abend werde ich mit Anja in den »Römischen Kaiser« gehen, das ist ein Restaurant der gehobenen Klasse. Die High-Society trifft sich dort. Und dort werden Anja und ich fürstlich speisen – das Feinste vom Feinen.

 Ich habe mir einen besonderen Spaß ausgedacht: Während im »Römischen Kaiser« die vornehmen Leute um uns herum zu Abend speisen, werde ich das Grießbrei-Lätzchen von der Schwester aus der Tasche ziehen und mir umbinden. Darauf steht in großen goldenen Lettern geschrieben: »Hauptsach gudd gess!«

Oh, die feinen Leute werden vielleicht große Augen machen! Und Anja und ich, wir werden uns kaputtlachen. Das wird ein köstliches Vergnügen!

 »So Herr Reiter, noch ein paar Löffelchen Brei, dann ist der Teller leer«, sagt die Schwester freundlich. »Heute haben sie gut gegessen, dann scheint morgen bestimmt wieder die Sonne, und dann schiebe ich sie wieder im Rollstuhl in den Garten – zu einem kleinen Schläfchen.«

Als die Schwester nach dem Essen das Lätzchen wegnehmen will, halte ich es mit beiden Händen fest.

»Möchten sie das Lätzchen noch behalten?« fragt sie mich mit leichtem Erstaunen.

Ich nicke kurz.

»Ich lasse es ihnen gerne, Herr Reiter«, sagt die Schwester und lacht freundlich.

 Ich muss das Lätzchen unbedingt behalten, weil ich morgen Abend mit Anja im »Römischen Kaiser« speisen werde. Dort binde ich mir dieses Lätzchen um. Der Schwester erkläre ich das nicht, sie würde es doch nicht verstehen.

Und außerdem: Von Anja darf die Schwester nichts erfahren, das ist mein Geheimnis, das geht sie gar nichts an. Die beiden Frauen dürfen sich niemals begegnen, die würden sich angiften, das gäbe einen riesengroßen Streit.

Auf dem Tisch steht vor mir eine Vase mit einem schönen Blumenstrauß. Da kommt mir noch ein guter Gedanke: Ich nehme diesen Strauß mit auf mein Zimmer, und morgen überreiche ich ihn Anja, nachdem sie mein Haus betreten hat. Anja wird sich über die wunderbaren Blumen riesig freuen, und dann wird sie sich in meinem Haus ganz bestimmt wohlfühlen.

 Als ich nach dem Blumenstrauß greifen will, lacht die Schwester.

 »Gefallen ihnen die Blumen? Wollen sie den Strauß mit aufs Zimmer nehmen? Wenn er ihnen gefällt, dürfen sie das gerne tun, Herr Reiter.« sagt sie freundlich.

Ich nicke, aber ich bleibe stumm. Ich erkläre der Schwester nichts.

»Ich bringe ihnen die Vase mit dem Blumenstrauß nachher aufs Zimmer«, sagt die Schwester lächelnd.

Sie gibt mir noch ein paar Schlückchen Tee aus der Schnabeltasse. Dann darf ich mich von den Anstrengungen des Abendessens ausruhen, und ich kann meinen Gedanken freien Lauf lassen.

 Morgen Nachmittag treffe ich mich wieder mit Anja. Das wird sehr aufregend. Ich freue mich darauf, ich kann´s kaum erwarten. Und Anja freut sich ebenfalls auf unser Date. Vielleicht zieht sie morgen ihre moderne neue Bluse an, von der sie mir heute so vorgeschwärmt hat, und dazu passend ihre schönen neuen Schuhe?

Ja, Anja hat einen guten Geschmack. Sie ist immer auf dem neuesten Stand der Mode. Das kostet natürlich einiges – aber warum denn nicht, als Lehrerin verdient sie gut.

In meine Vorfreude auf das Date mischt sich eine bange Sorge, die mich ein bisschen quält: Hoffentlich werde ich morgen nicht im schönsten Augenblick wieder von der Schwester aufgeweckt.

Ich lächele still vor mich hin. Meine Gedanken fliegen zu Anja. Ich weiß, dass sie auch oft an mich denkt. Wir beide gehören zusammen.

 Als mich die Schwester mit dem Rollstuhl in mein Zimmer fährt, erwache ich aus den Tagträumen. Sie geht zu dem kleinen Tisch, der neben meinem Bett steht, und fragt mich freundlich: »Soll ich den Blumenstrauß hierhin stellen, neben das Bild ihrer Frau?«

Ich nicke und antworte leise: »Ja, danke, stellen sie die Blumen dorthin, neben das Bild von Anja. Anja liebt Blumen, sie wird sich sehr freuen.« 


Hans Reiter


Bald erscheint hier eine neue Geschichte!